Karate Selbstverteidigung

Es gibt wohl kaum eine effektivere Selbstverteidigung als ein Kampfkunst System das über Jahrhunderte hinweg stetig verbessert und perfektioniert wurde. Hinzu kommen Einflüsse unterschiedlicher Länder mit deren eigenen Kampfmethoden und Erfahrungen, die in Karate integriert wurden und wohl der wichtigste Punkt, die Motivation dazu, eine höchst effektive Kampfkunst zu entwickeln, wenn es um Leben und Tod durch tägliche Bedrohung geht.
Karate wird heutzutage von den meisten Karateka und auch der Allgemeinheit auf Wettkampf Kumite und Wettkampf Kata beschränkt.
Würfe, Hebel, harte, weiche Schlag-Block-Techniken, die Anwendung von Vitalpunkten und Waffentechniken sind aber ebenfalls Bestandteil von Karate und machen es zu einem kompletten Kampfsystem. Diese Punkte insgesamt machen Karate zu einer der effektivsten Selbstverteidigungssysteme.
Hinzu kommen angeborene Reflexe die in den Kampfmethoden integriert wurden und die man als sauber ausgeführte Technik in der Kata wiederfindet. Diese angeborenen Reflexe sind bei allen Menschen gleich, egal ob trainiert oder untrainiert.
Eine effektive, wirkungsvolle Selbstverteidigung hat ein Konzept, welches wir in der Kata finden.
Kata die Anleitung zur Selbstverteidigung
- Situation erkennen und akzeptieren
- primäre Ziele ausmachen
- explosive, reflexartige Bewegung ohne seine Absichten zu zeigen
- direkter Konter-Angriff nach dem De-Ai Prinzip
- eliminieren der gegnerischen Waffen
1. Situation erkennen und akzeptieren
Die meisten Gewalttätigkeiten beginnen nicht mit körperlichen Angriffen. Vor einem tatsächlichen, körperlichen Angriff wird der Verteidiger bereits verbal oder durch Drohgebärden in eine bestimmte Situation versetzt.
Unser vegetatives Nervensystem, aufgeteilt in parasympathische- und sympathische Nervensystem, springt an und kontrolliert unsere Körperfunktionen.
Das parasympathische Nervensystem kontrolliert unsere feinmotorischen Bewegungen und kognitive Handlungen, wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Denken, Gedächtnis und Sprache. Wir erkennen die Situation und stellen uns auf eine Konfrontation oder Angriff ein.
Sobald aus der Androhung eine tatsächliche Bedrohung wird, übernimmt das sympathische Nervensystem die Kontrolle. Adrenalin wird freigegeben, der Herzschlag wird erhöht, der Blutdruck steigt und die Muskelfunktionen werden verstärkt.
Gleichzeitig werden dadurch aber auch unsere feinmotorischen Fähigkeiten außer Kraft gesetzt.
Im Bezug auf die Selbstverteidigung bedeutet das, dass die komplizierten Techniken von einfachen Techniken abgelöst werden. Zur Verteidigung stehen nun nur noch einfache Techniken und reflexartige Bewegungen zur Verfügung.
Denken wir nun daran wie wir eine Kata beginnen, finden wir auch den Schalter um unseren Körper und Geist in den Kampfmodus zu versetzen. Die Kata beginnt mit dem lauten Ausschrei des Kata Namens, wir strahlen Selbstbewusstsein und Entschlossenheit aus.
In der realen Bedrohung bedeutet das für den Verteidiger, dass er auf Kampfmodus geschaltet hat und sich in Gedanken „eine Kata“ ausgesucht hat, die verschiedene Lösungswege bereit hält. Die Situation wurde angenommen und der Verteidiger ist mental auf den Angriff eingestellt. Das ist die erste Information in der Kata.
2. Primäre Ziele ausmachen
Jeder Mensch hat empfindliche Stellen am Körper, die auch durch spezielles Training nicht unempfindlich werden. Das sind die sogenannten Primärziele. Bei den sekundären Zielen fügen wir dem Angreifer gezielt Schmerzen zu, rufen reflexartige Bewegungen hervor oder bringen ihn in eine bestimmte Position.
Eventuell ist auch ein taktisches Vorgehen notwendig und es müssen zuerst sekundäre Ziele angegriffen. Das ermöglicht uns eventuell die Flucht oder wir werden in die Lage versetzt das eigentliche Primärziel zu treffen um den Kampf so schnell wie möglich zu beenden oder den Gegner zu kontrollieren.
Entscheidend ist auch, welche meiner Waffen die primären Ziele ohne große Gegenwehr erreichen können und welche meiner primären Ziele sind für den Angreifer erreichbar, die ich schützen muss.
Abhängig von der Distanz zum Angreifer, entstehen unterschiedliche Möglichkeiten.
Es ist dabei immer davon auszugehen, dass der Angreifer die Distanz bestimmt und sich der Verteidiger auf die Situation einstellen muss.
Primäre Ziele sind:
• Augen
• Nasen
• Ohren
• Hals
• Genitalien
Sekundäre Ziele sind:
• Kopf allgemein
• Schlüsselbein
• Gelenke
• Vitalpunkte allgemein
Zu bedenken ist dabei immer das Notwehrgesetz und die Verhältnismäßigkeit der Mittel.
3. explosive, reflexartige Bewegung ohne seine Absichten zu zeigen
Ist die Situation erkannt, der Kampfmodus aktiviert und die primären – oder sekundären Ziele ausgemacht worden, müssen die Verteidigungstechniken ansatzlos und reflexartig erfolgen.
Damit ist gemeint das die eigenen Waffen, egal ob Hände oder Füße ins Ziel gebracht werden müssen, ohne Ausholbewegungen oder andere Anzeichen, die dem Angreifer die Absichten verraten.
Auch der Gesichtsausdruck, ein Blick auf das ausgesuchte Primärziel, ein Schulterzucken oder eine Gewichtsverlagerung, kann die eigenen Absichten verraten und dem Angreifer einen Vorteil verschaffen.
Unter Punkt 1 wurde beschrieben dass der Verteidiger den Kampfmodus eingeschaltet hat und in Gedanken „eine Kata“ ausgesucht hat, die verschiedene Lösungswege bereit hält. Damit ist nicht gemeint, dass bereits eine bestimmte erste Abwehrtechnik gewählt werden soll. Vielmehr ist damit gemeint, dass das Ziel gedanklich schon festgelegt sein sollte, wie der Kampf beendet oder kontrolliert wird, nachdem der erste Angriff erfolgte.
Obwohl fast immer der Angreifer die Distanz bestimmt, sollte versucht werden die Angriffsmöglichkeiten einzuschränken. Durch das verbessern unserer Position erhöht sich die Chance auf eine erfolgreiche Verteidigung, einen direkten Konter, das Gleichgewicht des Angreifers zu stören und allgemein verbessern wir die Reaktionszeit.
4. direkter Konter-Angriff nach dem De-Ai Prinzip
Bei einer Gewalttat handelt es sich so gut wie nie um einen Angriff eines Kampfsportlers. In der Regel erfolgt der Angriff unkontrolliert und mit dem Versuch sofort einen harten Treffer zu landen. In seltenen Fällen ist es ein erfahrener Straßenschläger dem man gegenübersteht.
Diese Angriffe haben System und können nach Häufigkeit benannt werden:
- Schubsen mit anschließenden Schwinger zum Kopf (zu 90% mit dem rechten Arm)
- direkter Schwinger zum Kopf
- Greifen mit links, schlagen mit rechts zum Kopf
- Doppelgriff mit anschließenden Kopfstoß
- Doppelgriff mit anschließenden Kniestoß zum Unterleib
In der Kata sind Lösungen für derartige Angriffe beschrieben, sowie Lösung B, C oder F, falls Lösung A nicht wirksam war.
Immer beginnt die Kata mit einer Abwehrtechnik, die einen gleichzeitigen Konter beinhaltet. Der direkte Konter ist störend für den Angreifer und er muss darauf reagieren. Das verschafft dem Verteidiger Zeit und die Möglichkeit selber zu agieren.
Ein direkter Konter nach dem De-Ai Prinzip kann eine Positionsverbesserung mit anschließender Technik sein (Richtungsänderung in der Kata), ein Hereingehen in den Schlag (z.B. Eröffnung in der Kushanku), ein Zurückweichen mit direkter Armkontrolle (Chinto) oder ein Vorgehen mit Armkontrolle und direktem Schlag (Gojushiho Sho).
Wie schon oben unter Häufigkeit der Angriffe beschrieben finden Gewalttätigkeiten in der Nahdistanz statt. Das heißt der Angreifer kann sofort Schlagen und greifen oder er muss maximal einen Schritt machen um in Schlagdistanz zu kommen.
Viele Selbstverteidigungssysteme nehmen im Training eine weitere Distanz ein. Hier stehen sich Angreifer und Verteidiger gegenüber und es findet ein Abtasten statt bis es zum Angriff kommt. Diese Situation hat nichts mit Selbstverteidigung zu tun, sondern der Verteidiger hat sich auf den Kampf eingelassen. Selbst wenn der Verteidiger als Gewinner aus dem Kampf hervorgeht, werden Zeugen berichten dass es eine Schlägerei war, dabei ist der Sieger der Verlierer.
Ein direkter Konter nach dem De-Ai Prinzip ist in der weiten „Kampfdistanz“ nicht wirksam, da der Angreifer genügend Zeit hat um darauf zu reagieren.
5. eliminieren der gegnerischen Waffen
Denk nicht darüber nach zu gewinnen sondern denk darüber nach nicht zu verlieren. – Gichin Funakoshi
Ist es nicht möglich den Kampf sofort durch das De-Ai Prinzip zu entscheiden oder zu beenden kann man gezielt versuchen die Waffen der Angreifers zu eliminieren oder zu kontrollieren.
Das kann ein einfacher Schlag zu gut erreichbaren Vitalpunkten sein um eine bestimmte Reaktion vom Angreifer hervorzurufen oder ein gezielter Schlag zum Bizeps damit der Arm unbeweglich wird oder auch ein Kniestoß zum Oberschenkel des Angreifers, der ihn daran hindert schnell zu laufen wenn man fliehen will. Hierzu gibt es viele Beispiele und einfache Techniken die in der Kata gezeigt werden.
Jeder direkte Konter oder schon eine einfache Positionsverbesserung ruft beim Angreifer eine Reaktion hervor, die eine weitere Möglichkeit schafft ein primäres Ziel zu erreichen oder den Gegner zu kontrollieren, bzw. seine Waffen zu eliminieren. Dazu sollte der Verteidiger alle seine Waffen kompromisslos einsetzen und auf einfache Techniken mit Mehrfachanwendung zurückgreifen.
Hat der Verteidiger zum Beispiel den Hals als Primärziel ausgemacht und könnte diesen mit einem Age Uke treffen, besteht auch die Möglichkeit den greifenden Arm des Gegners durch die Ausholbewegung des Age Uke zu treffen, das Gleichgewicht zu brechen und weitere Punkte zu öffnen.
Durch die Mehrfachanwendungen einfacher Techniken entstehen eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten. Die Verwendung einer Technik für mehrerer Anwendungen trägt auch zu einer schnellen Reaktion im Kampf bei, weil nicht viele verschiedene Techniken für unterschiedliche Kampfsituationen gelernt werden müssen. Das Gehirn muss nicht ein umfangreiches Technikwissen abfragen, bevor es in der Lage ist, die geeigneten Bewegungen zu bestimmen. Eine geringere Anzahl von Techniken die viele unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten mit sich bringen sind also sehr viel effektiver.
Erst nach langjährigem Training werden diese „einfachen“ Bewegungsabläufe von „technisch anspruchsvollen“ Bewegungsabläufen abgelöst. Um eine effektive Selbstverteidigung in kurzer Zeit zu erlernen, sind jedoch die einfachen und reflexartigen Bewegungen völlig ausreichend. Dies gilt für alle Selbstverteidigungssysteme.